Die Vorburg

Die Gefühle…

Ist Ihnen das schon einmal aufgefallen: jetzt, wo wir den “katastrophalen” Winter, den “härtesten seit der Wetteraufzeichnung” fast hinter uns gelassen haben, kommt auch schon die “schier unerträgliche Saharahitzewelle” auf uns zu. Ich neige zu übertreiben, oder eher die Nachrichten und “Wetterspezialisten”. Zurück zum Thema. Also, eben diese Profis haben die “gefühlten Temperaturen” als weiteres Element Ihres profitablen Geschäfts rund um Aufmerksamkeit und Klicks erfunden: Gefühlte Temperaturen.

Meiner Oma waren die wohligen 23 Grad in der Stube gefühlt immer zu kalt. Ich habe das Gefühl, hier werden wir mal wieder gehörig hinters Licht geführt. So ist es halt in einer grossen und immer schneller drehenden Welt und Gesellschaft. Nachrichten, ob richtig oder gefühlt richtig prasseln auf uns ein. Die aktuelle Welt scheint aus den Angeln, alles anders, “nichts wie es mal war”. Wie war es denn? “Gefühlt, besser!”, hört man vielerorts da die Stimmen. Es ist zum Mäusemelken oder Verrücktwerden. Beides nicht erstrebenswert und vor allem nicht zielführend. Ach ja richtig, das Ziel. Welches noch gleich?

In unseren RUMprobieren-Genussabenden mache ich zu Beginn stets einen kleinen geschichtlichen Exkurs in das Jahr 1492. Das Stichwort lautet hier: Gerard Depardieu, äh, Entschuldigung, Christoph Kolumbus.

Der machte sich auf, eine “NEUE WELT” zu finden, entgegen alle Widerstände, entgegen allen Glaubens und teils sogar Wissens. Wie müssen wir uns das damals vorstellen? Drei Schiffe benötigen Besatzung. Die Stellenbeschreibung:

Aufbruch in die NEUE WELT. Wir kennen die Richtung, wissen nicht, was auf der Reise passieren kann, ob wir finden was wir suchen, ob wir heil ankommen oder überhaupt wieder zurück? Wieviele würden sich “gefühlt” heute auf diese Anzeige bewerben? Seien Sie ehrlich! – Kolumbus wird, wie vielen Entdeckern dieser Zeit, nachgesagt recht überzeugend gewesen zu sein. Er schaffte eine Vision und wurde nicht müde diese zu vermitteln. Ein erstrebenswertes Ziel, Ruhm, Ehre, paradiesische Aussichten, alles gefühlt. Das in Verbindung mit den seiner Zeit, wie auch heute noch bestehenden Gefahren, Unsicherheiten und Unplanbarkeiten.

Hat er den Seeweg nach Indien gefunden? (das war dann ein paar Jahre später Vasco da Gama) Nein! Hat der dem neuen Kontinent seinen Namen geben können? (hier war es 1507 Amerigo Vespucci) Nein! Er hat uns ein Beispiel hinterlassen und die Grundlage für den heute so beliebten Rum geliefert (oder zumindest eine weitere tolle Geschichte dazu). Zu guter Letzt wurde er bei seiner Rückkehr sogar (angeblich) vom Kardinal Mendoza verspottet, mit den Worten: “…es sei ein Leichtes gewesen die neue Welt zu entdecken, es hätte schliesslich dies auch jeder andere vollführen können.” Daraufhin verlangte Kolumbus von den anwesenden ein gekochte Ei auf seine Spitze zustellen. Dies gelang, auch nach mehreren Versuchen, niemandem. Man ist schliesslich davon überzeugt, dass es eine unlösbare Aufgabe sei. Kolumbus schlägt das Ei mit der Spitze auf den Tisch (wieder andere behauten, er stelle es in ein Häufchen Salz), das Ei beibt stehen. Als die Anwesenden protestieren, dass sie das auch gekonnt hätten, antwortete Kolumbus: „Der Unterschied ist, meine Herren, dass Sie es hätten tun können, ich hingegen habe es getan!“ – So war fast schon nebenbei noch das Sprichwort vom “Ei des Kolumbus” geboren.

Klasse, was der gute Mann so alles vollbracht hat. Er hatte seinen Kompass, seine Einstellung, sein Ziel, seine Vision vor Augen. Gefühle waren da nicht beteiligt, Fakten (wenngleich zumeist seine eigenen oder die seiner Zeit) und Überzeugungen leiteten ihn. War alles richtig, mitnichten; war alles falsch, mitnichten. Er hat etwas “getan” und sich nicht auf “Gefühltes” verlassen.

Den Kompass fest im Blick und “Die Gefühle haben Schweigepflicht”, so lassen wir an so manchen Tagen das, was auf uns einprasselt einfach prasseln und denken an uns, an unsere innere Vision, an unseren Seelenfrieden, an unseren kompromisslosen Genuss. Suchen Sie sich etwas aus.